Wenn die Welt sich dreht – Lagerungsschwindel

Wenn Schwindel den Alltag beherrscht, ist man sehr stark eingeschränkt. Jeder kennt bestimmt den leichten Schwindel, wenn man zum Beispiel zu schnell aufsteht. Das kenne ich auch nur zu gut, da mein Kreislauf immer am unteren Limit läuft. Doch an diesem Tag war es anders, ganz anders…..

Sonntag, kurz vor sieben Uhr morgens

Ich wache ganz plötzlich auf, mein T-Shirt ist nass und der kalte Schweiß rinnt mir von der Stirn. Ich halte inne und versuche auf meinen Körper zu hören, was diesen Schweißausbruch ausgelöst haben könnte. Ein kurzer Griff an die Stirn, Fieber ist es nicht und ich schiebe den Gedanken Corona gleich beiseite. Bis zu diesem Moment habe ich mich im Bett nicht bewegt und liege gerade auf dem Rücken.

Da ich noch sehr müde bin, möchte ich gerne weiterschlafen, ist ja immerhin auch Sonntag. Ich drehe mich zur rechten Seite und mich attackiert so ein starker Schwindel, wie ich ihn noch nicht mal annähernd erlebt habe. Mir wird nicht schwarz vor Augen, wie ich es von Kreislaufschwächen kenne. Stattdessen dreht sich alles, aber nicht so wie bei einem Alkoholrausch, sondern viel intensiver und ich weiß nicht mehr wo oben und unten ist. Mir wird sofort schlecht und der Kopf droht zu explodieren.

Ich wecke meinen Mann und sage ihm, dass etwas nicht in Ordnung ist mit mir. Irgendetwas ist anders als sonst und ich bekomme Angst. Der Schwindel lässt sich nicht nach, bei jeder Bewegung fahre ich Looping in einer Achterbahn, nur tausendmal so schnell und dutzende Male hintereinander. Jetzt beginnen zudem meine Beine und Arme nicht mehr zu gehorchen, sie fangen an zu kribbeln und zu krampfen. Das Pusten in eine Plastiktüte bringt überhaupt nichts, mein Mann ruft den Rettungswagen.

Mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus

15 Minuten später ist der Rettungswagen da. Die üblichen Untersuchungen wie Blutdruck etc. ergeben keine Auffälligkeiten. Während die beiden Sanitäter an meinem Bett stehen und ich dort ruhig liege, wird es langsam besser. Der Schwindel lässt nach und auch der Presslufthammer schlägt nicht mehr gegen meinen Kopf. Im Nachgang wird klar werden, dass es daran lag, dass ich mich kein Stück bewegt habe. Die Sanitäter empfehlen mir, am nächsten Tag zum Hausarzt zu gehen und den kurzen Schwindelanfall abklären zu lassen.

Ich drehe mich wieder zur Seite und der Horror beginnt erneut…

Eigentlich möchte ich jetzt nur einfach weiter schlafen, aber es sollte nicht sein. Die nächste Umdrehung und mein Körper fährt wieder in die Hölle. Dass es noch viel schlimmer werden wird, mag ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht erahnen.

Mein Mann ruft die Sanitäter zurück, die im Wagen noch den Schriftkram erledigt haben und ab geht die Fahrt ins Krankenhaus. Natürlich alleine, also ohne meinen Mann, das ist zu Corona-Zeiten nämlich nicht erlaubt.

Im Krankenhaus in Zeiten von Corona

Da liege ich jetzt auf der Notaufnahme, Gott sei Dank geht aber alles ganz schnell. Ich werde sofort in ein Untersuchungszimmer gerollt und auch auf dem Arzt muss ich nicht lange warten. Jetzt wird alles gut, dachte ich zumindest!

Nach hunderten von Fragen zur gesundheitlichen Vorgeschichte, möchte der Arzt mit mir ein paar Übungen machen. Er vermutet einen Lagerungsschwindel, der am Ende auch die endgültige Diagnose sein wird. Wir versuchen, den Schwindel mit dem Semont-Manöver in den Griff zu kriegen. Diese Übungen waren eine der schlimmsten Dinge, die ich körperlich je in meinem Leben erlebt habe. Während der Übung musste ich ständig erbrechen und irgendwann war ich wie in Trance, es war wirklich schlimm. Ich habe nach der 3. oder 4. Wiederholung den Arzt angefleht, dass ich das nicht mehr machen muss.

Die Diagnose stand, zumindest kurzfristig, fest: Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel. Aber dazu erzähle ich euch später noch mehr. Mein behandelnder Arzt wollte nur noch auf Nummer sicher gehen und schickte mich zum CT.

Der Behandlungsmarathon beginnt

Als Erstes musste ich natürlich ein Corona Test gemacht werden, das ist momentan Standard im Krankenhaus. Um eine mögliche Schwangerschaft ausschließen zu können, war zudem eine Urinprobe erforderlich. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt bereits über einen Zugang Medikamente gegen Schwindel und Übelkeit bekommen, sodass es zwar immer noch schlimm war, aber ich musste mich zumindest nicht mehr übergeben.

Nach dem CT wurde ich wieder in die Notaufnahme geschoben und musste dort auf das Ergebnis warten. Auf ein Mal wurde es wuselig um mich herum. Mein Zugang wurde wieder angestöpselt, ich wurde an eine Überwachungsmaschine angeschlossen und ich musste noch einen weiteren Corona-Test machen, einen sogenannten Schnelltest. In diesem Moment wusste ich, das Ergebnis vom CT kann nicht gut sein.

Frau Schulz, Sie hatten einen Schlaganfall! Wir nehmen Sie jetzt stationär auf und ich informiere Ihren Mann. Besuchen kann er sie aber weiterhin nicht.

Dieser Satz liegt mir heute noch in den Ohren. Ich habe in diesem Moment nichts gedacht, einfach nichts! Ich habe mich einfach nur alleine gefühlt, alleine mit der Diagnose Schlaganfall.

Ich musste dann erneut ins CT, dieses Mal mit zusätzlichem Kontrastmittel. Danach kam ich erstmal auf die neurologische Station in ein Einzelzimmer, zumindest bis zum Corona Ergebnis. Als ich da dann so lag, gingen mir so viele Gedanken durch den Kopf. Keine schönen Gedanken! So gegen 16 Uhr durfte ich dann endlich zu Hause anrufen und habe einfach nur geweint. Diese Situation war einfach so unwirklich…

Zwischenzeitlich hatte ich noch weitere Medikamente erhalten, die mir den Nachmittag einigermaßen erträglich gemacht haben. Zumindest körperlich fühlte ich mich im Krankenbett ganz gut, bewegen war aber immer schwierig, weil das Gleichgewicht nicht funktionierte. Ich habe versucht, gerade in meinem Bett zu liegen und mich einfach überhaupt nicht zu bewegen. Auf der Station wurde ich dann mit Maschinen überwacht und ständig schaute auch jemand nach mir. Ich wurde auch noch ein paar Mal mit Spritzen geärgert, aber das war alles halb so wild.

Die Oberärztin der Station versicherte mir, dass ich bei allen Behandlungen vorgezogen werde, weil ich noch so jung wäre. Einerseits toll, dass das möglich gemacht wird, andererseits wurde mir da wieder klar, wie ernst meine Situation gerade ist. Für den nächsten Tag wurden 6 weitere Untersuchungen angekündigt, u.a. das so wichtige MRT.

Am nächsten Morgen startete mein Tag erstmal mit einer Portion Übelkeit und Erbrechen, OK die Medikamente wirken nicht mehr. Bevor ich dann zum Langzeit EKG gefahren wurde, gab es daher einen neuen Beutel mit Zauberzeugs :-). Mittlerweile konnte ich mich allein schon wegen der ganzen Kabel kaum noch bewegen, was aber für meinen Zustand auch genau richtig war. Ich fieberte 14 Uhr entgegen, ab da war Besuchszeit!

Dann kamen nacheinander eine Physiotherapeutin, eine Ergotherapeutin und eine Logopädin. Sprachlich war alles gut, in den anderen Bereichen hatte ich aufgrund des Schwindels Defizite. Aber dann ging es ins lang ersehnte MRT, wie die Ärztin versprochen hatte.

Als ich vom MRT zurückkam, lagen neben meinem Mittagessen bereits die nächsten drei Aufklärungsbögen. Lumbalpunktion und die farbkodierte Doppler-Sonografie haben sich davon besonders „nett“ angehört. Doch bevor ich zu diesen Grusel-Untersuchungen musste, kam die Erlösung in Form des Ergebnisses vom MRT. Ein Schlaganfall kann ausgeschlossen werden. Es kullerten wieder Tränen, dieses Mal aus Erleichterung.

Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel

Ich konnte mit der Ärztin noch einige Zeit sprechen. Natürlich war sie auch sehr froh, dass ich keinen Schlaganfall hatte. Im Gegenzug sagte sie mir aber auch, dass ein Lagerungsschwindel auch eine sehr unbequeme und langwierige Krankheit sein kann.

Hintergrund des Lagerungsschwindels ist die so genannte Canalolithiasis. Dabei haben sich von den Sinnesfeldern der Vorhofsäckchen winzige Kalzitsteinchen (Otolithe) gelöst, die dann in die Bogengänge verlagert werden können. In der Lymphflüssigkeit schwimmend, reizen sie mit ihrem Gewicht die Sinneszellen in den Bogengängen und lösen damit fälschlicherweise Aktionspotenziale (Drehschwindel) aus. Diese übermitteln dem Gehirn dann Informationen, die nicht mit der tatsächlichen Körperlage und aufgenommenen Sehreizen übereinstimmen. Auf diese Weise kommt es schließlich zu dem typischen Drehschwindel. Dazu gesellen sich meist noch Schweißausbrüche, Übelkeit und Erbrechen sowie Angstempfindungen. Der zwar ebenfalls sehr unangenehme, aber harmlose Lagerungsschwindel verschwindet binnen einiger Wochen bis Monate wieder von allein.

https://www.hno-aerzte-im-netz.de/krankheiten/schwindel/lagerungsschwindel.html

Ganz einfach gesagt, sind bei mir im Kopf ein paar Steinchen durcheinander geraten und solange diese nicht wieder an Ort und Stelle sind, hat man mit Drehschwindel und Gleichgewichtsstörungen zu kämpfen.

Ich bin grundsätzlich ein ungeduldiger Mensch. Bei mir muss alles immer schnell gehen und wenn es etwas nicht sofort klappt, verliere ich schnell die Motivation. Mein Mann musste mich die ersten Tage mehrfach ermahnen, dass ich die Übungen mache. Ohne diese Übungen kann der Lagerungsschwindel noch mehrere Monate anhalten. Daher sind die Manöver absolut wichtig für eine schnelle Genesung. Es gibt verschiedene Manöver, bei mir hat das Epley-Manöver am besten geholfen. Im Krankenhaus wurde aber das Semont-Manöver mit mir durchgeführt.

https://deximed.de/home/b/neurologie/patienteninformationen/verschiedene-krankheiten/lagerungsschwindel-gutartiger-empfehlungen/

Ende gut, alles gut?

Es wäre schön, wenn ich nach zwei Wochen jetzt sagen könnte, das alles wieder gut ist. Nein das ist es nicht und ich bin auch noch weit davon entfernt.

Grundsätzlich bin ich zu 90% schwindelfrei, aber genau die 10% sind so tückisch. Man fühlt sich fit und bei einer falschen Bewegung verliert man das Gleichgewicht und es dreht sich alles wieder. Nicht mehr sonderlich stark, aber immer noch deutlich wahrnehmbar und unangenehm. Auto- oder Fahrradfahren sind aktuell noch nicht möglich. Generell alle Tätigkeiten, wo ich den Kopf schnell oder besonders intensiv bewegen muss, bringen mich noch schnell an Grenzen.

Der Schwindel lebt mit und wird ein bisschen alltäglich. Ich kann damit schon gut umgehen und weiß, welche Bewegungen gut sind und welche halt noch nicht. Zusätzlich starte ich jetzt noch mit einer Therapie beim Physiotherapeuten. Ich merke oft wie belastend diese Krankheit für den Kopf ist, am Nachmittag bekomme ich häufig Kopfschmerzen oder sogar Migräne, konzentrieren fällt mir weiterhin auch noch recht schwer.

Ich kämpfe mich aber weiter tapfer durch diese Krankheit. Auch wenn sie am Ende harmlos ist und auch komplett wieder verschwindet, bete ich, dass ich sie nie nie nie wieder bekommen werde.

4 Comments

  • Cristina

    27. September 2020 at 13:39

    Oje! Gute Besserung!

    1. Nina

      27. September 2020 at 15:54

      Ganz lieben Dank!
      Es ist jetzt schon ein paar Wochen her, aber der Schwindel begleitet mich leider immer noch bei bestimmten Bewegungen. Aber es wird von Woche zu Woche besser!

  • Irma Neul

    29. Juli 2021 at 17:23

    Liebe Nina,
    Gestern habe ich das gleiche zum ersten Mal erlebt. Ich bin leider ein Pessimist von Natur aus aber Ihre Erfahrung gibt mir dem Mut, dass dieser Albträum irgenwann Mal aufhört, hoffe nur dass mein Herz das durchsteht. Ich habe so eine Angst von diesen Übungen!
    Danke fürs Teilen!
    Gute und schnelle Besserung!
    Liebe Grüße
    Irma

    1. Nina

      29. Juli 2021 at 18:30

      Liebe Irma, ich fühle gleich absolut mit Dir!
      Es war bei mir absolut fürchterlich. Ich denke nicht gerne an diese Zeit zurück.

      Ich wünsche Dir von Herzen gute Besserung!
      Es wird besser, das kann ich Dir versprechen. Aber es braucht Zeit und viel Geduld.

      Alles Gute
      Nina

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